Morgenseiten können einen Durchbruch bringen für emotionale, biografische und intergenerationelle Befreiung und Heilung. Auch für skeptische Menschen. Gut schreiben zu können oder gern zu schreiben, ist dafür nicht notwendig. Es ist eine intuitive Methode, für die es weder Durchblick noch ‚Talent‘ braucht. Im Video und unten im (leicht verkürzten) Transkript wird erklärt, wie die Morgenseiten wirken, wie sie am besten gemacht werden, und warum ich sie empfehle.
Transkript des Videos zu Morgenseiten
Morgenseiten sind ein Werkzeug, das sehr wirksam ist. Einige, für die die Technik wie geschaffen ist, verwenden sie nur deswegen nicht, weil sie das Buch, in dem es beschrieben wird, zu kitschig finden (-: . Wenn du Morgenseitenschreiben schon kennst und praktizierst: bitte ziehen Sie durch, hier gibt es nichts zu sehen. Falls du es aber noch nicht ausprobiert hast, dann hier ein Pläydoer von mir, es dir nochmal zu überlegen.
Die Morgenseiten sind gut geeignet zur emotionalen Heilung und für neue Orientierung,
in Phasen von dramatischen Veränderungen, wenn man sich blockiert oder belastet fühlt, unfrei, und ausbrechen möchte oder muss. Morgenseiten sind eine ganz einfache, oft unterschätzte, aber sehr sehr powervolle Methode, die darin besteht, jeden Morgen drei Seiten zu schreiben – ohne Filter, mit der Hand, und das nachher auch nicht wieder zu lesen (das ist wichtig!). Man schreibt also nicht Tagebuch oder schön oder zusammenhängend oder irgendeinen sinnvollen Text, sondern ausschließlich was einem gerade durch den Kopf geht. Und wenn das Nonsens ist, dann schreibt man das, und zwar ohne es zu beurteilen. Es ist also nicht wichtig und auch nicht angezeigt, dafür gut schreiben zu können oder sich gut ausdrücken zu können oder ein Buch oder Tagebuch schreiben zu wollen. Ganz im Gegenteil.
Jede Person kann Morgenseiten schreiben. Selbst wenn du nicht schreiben kannst, kannst du Morgenseiten trotzdem machen; unten steht, wie das geht. Es kostet auch fast nichts, man braucht nur Schmierpapier und einen Stift. Wie das mit den Morgenseiten so geht, dass sie wirklich maximal helfen, erkläre ich gleich. Erstmal zum Verständnis vorab, damit wir wissen, worauf wir uns einlassen, wie sie wirken.
Die Morgenseiten sind so wirksam, weil sie alles Mögliche, was bei uns verstopft ist, aufräumen und klären können – und zwar ohne, dass wir irgendwas davon mit Absicht organisieren müssten. Deswegen sind sie besonders hilfreich bei Überforderung. In der Überforderung dann noch den Ausweg aus der Überforderung organisieren, geht nun mal schlecht. Da ist es dann sehr gut, das eine oder andere Werkzeug zu haben, das aushelfen kann. Heißt: ich tue etwas, das augenscheinlich gar nichts zu tun hat mit dem Grund meiner Überforderung. Aber am Ende hilft es mir dann doch wesentlich zu mehr Zuversicht und Klarheit, und auch zur Lösung von vielen Problemen, durch die Hintertür. Das geschieht unter dem Radar, man kann es Unterbewusstsein nennen, oder ’spirituelle Connection‘ oder was auch immer, es ist egal, so lange es funktioniert, und das tun die Morgenseiten.
– psychologisch helfen die Morgenseiten,
Stress abzubauen. Sie können sehr gut unbewusste Denkverbote, die wir haben, durchbrechen, und auch alte Blockaden lösen, die gar nicht mehr so richtig auf dem Schirm sind. Sie sind sehr gut dazu, eine noch bessere Beziehung mit sich selbst zu bekommen und wirken stark ausgleichend. Wir werden mit der Zeit weniger emotional angreifbar und weniger angefasst.
– geistig helfen die Morgenseiten,
weil davon oft die Konzentration im Alltag profitiert. Wir bekommen generell eine klarere Richtung, was wir möchten oder was geht und was nicht geht. Der Kopf ist von viel unnötigem Ballast und Grundrauschen befreit.
– spirituell helfen die Morgenseiten
bei der Selbstfindung, auch ohne religiöse Vorsätze. Morgenseiten zu schreiben, öffnet die Tür zur inneren Weisheit und Kreativität, und für viele Menschen, die sie praktizieren, tatsächlich auch zu mehr Gefühlen von äußerer Verbundenheit. Morgenseiten zu schreiben hilft uns dabei, zu unterscheiden zwischen Gedanken und Emotionen und dem, was ich bin. Das sind nämlich verschiedene Dinge. Wir sind nicht unsere Emotionen oder unsere Gedanken oder die Summe davon. Gedanken und Emotionen geschehen in uns oder geschehen uns, aber wir sind viel mehr als das. Wir sind auch nicht unsere Reflexe und Ängste.
Das ist alles schöne Philosophie, aber solange mich diese Gedanken und Emotionen alle befallen, klingt das nicht ganz zutreffend. Hier kommen die Morgenseiten zur Hilfe, als eine der Techniken, die diesen Platz schaffen, zwischen dem, was uns befällt –Emotionen, Gedanken, Anwandlungen, Verlangen, Abneigungen und so weiter, die in diesem Stakkato auf uns einprasseln – den Raum schaffen für das, was wir eigentlich sind. Und das ist sehr interessant. Wenn man die Morgenseiten regelmäßig schreibt, werden diese Effekte gestärkt, und Erkenntnisse, Erfahrungen und auch die Stabilität nehmen zu. Je länger man die Praxis beibehält, desto mehr profitiert man davon.
Die Technik kommt ursprünglich von einem Kreativworkshop, aber wir wären schlecht beraten, das zu unterschätzen. Auch wenn das Ziel nicht ist, kreativ zu sein oder kreativ zu werden, sondern frei zu sein, sind die Morgenseiten ein großartiges Werkzeug. Dieser Workshop stammt von der US-amerikanischen Autorin Julia Cameron. In den 1990er Jahren hat sie das Buch veröffentlicht namens ‚the artist’s way‘, auf Deutsch ‚Der Weg des Künstlers‘ Es ist kein Buch zum Lesen, sondern zum machen, ein 12 Wochen-Workshop, in dem es jede Woche Aufgaben gibt, Themen und Schreib-Übungen, nicht zum kreativen Schreiben sondern dazu, die eigenen Blockaden und die eigenen biographischen Frustrationen zu überwinden. Diese liegen zwischen uns und unserem authentischen Ausdruck, der Erfüllung unserer kreativen Träume, oder überhaupt dem Zulassen unserer kreativen Träume. Nochmal: ‚kreativ‘ ist gemeint im weitesten Sinne, es können auch andere Lebensträume sein.
Der Unterschied zwischen Morgenseiten und kreativen Schreiben
ist, dass die Morgenseiten ausschließlich verwendet werden sollten für mentales aufs-Klo-gehen, Julia Cameron nennt es ‚brain dump‘. Es ist gut, zu üben, dass Gedanken aufgeschrieben werden dürfen, auch wenn sie nichtig sind, kleinlich, peinlich und weinerlich… weil wir eben dadurch lernen, und das ist eine hohe stoische Praxis, dass unsere Gedanken uns nicht vollständig repräsentieren!
Gedanken werden uns oft von außen eingepflanzt und auferlegt. Eine weise Person (ich weiß leider nicht mehr wer es war) hat gesagt: Der erste Gedanke, der in uns erscheint, ist, wie wir geprägt wurden. Der zweite Gedanke ist unser Charakter. Das sind gute Nachrichten! Es bedeutet, der erste Gedanke, der in uns erscheint, kann vollkommen unterirdisch sein und eigentlich das Gegenteil von dem, was wir möchten, aber darüber brauchen wir uns nicht selbst zu schelten oder abzuwerten, weil der Gedanke ankam ohne dass wir das wollten oder beeinflussen konnten. Das was wir danach denken, unter Umständen den vorherigen Gedanken korrigieren zum Beispiel, das ist, wer wir im Moment sind. Und daran können wir immer arbeiten.
Gedankliches Aufräumen ist kontinuierliche Arbeit an sich selbst, aber ich schweife ab, das ist nicht unbedingt der Ort der Morgenseiten. Die Morgenseiten sind die Spielwiese für alle diese ersten Gedanken, die wir nicht bestellt haben, die sich teilweise beschämend darstellen oder unfassbar langweilig und banal. Die werden alle aufgeschrieben.
Wie schreibe ich am besten Morgenseiten?
Am besten nach genau nach der Anleitung in dem Buch The Artist’s Way. Ich empfehle allen, die Englisch lesen können, die englische Fassung, weil es natürlicher klingt, und weil die Konzepte nicht genau dasselbe in unserem Sprachraum und Kulturraum meinen wie im Englischen. Aber in deutscher Sprache ist es auch in Ordnung, da heißt das Buch Der Weg des Künstlers.
Wer dafür keine Zeit oder Energie hat, hier die Kurzfassung:
– morgens
Die Morgenseiten räumen die Gülle weg von Befürchtungen, Stress, und Dingen, die knapp unter der Oberfläche lauern. Es macht Sinn, sie so früh am Tag wie möglich zu schreiben, denn dann ist dieser Morast weg. Wenn du keine spirituelle Praxis hast morgens, würde ich empfehlen, als erstes nach dem Aufwachen nicht aufs Handy zu schauen sondern direkt erstmal Morgenseiten zu schreiben.
– ohne gut schreiben zu wollen
Nicht etwas schönes zu schreiben versuchen „liebes Tagebuch, in letzter Zeit ist mir aufgefallen an mir selbst…“ sondern „Alter, mir fällt nichts ein, was ist das hier, jetzt muss ich noch früher aufstehen für diesen Nonsens… ich hab nichts anzuziehen ich hab nichts anzuziehen ich hab nichts anzuziehen arghhh noch drei Seiten, das schafft doch kein Mensch…“ usw. So kann das durchaus aussehen. Und irgendwann kommt dann etwas… anderes, und Dinge passieren. Ich will gar nicht zu viel ankündigen. Wenn keine Idee kommt, trotzdem immer weiterschreiben: „was für eine Qual, was tue ich hier überhaupt, mir fällt nichts ein…“ und so weiter. Es wird dann etwas passieren, versprochen.
Es ist möglich, dass brauchbare Passagen kommen, die mehr sind als nur geistiges aufs-Klo-gehen. Dass Erkenntnisse kommen, neue Fragen, ein Gedicht oder etwas tagebuchartiges. Das ist schon in Ordnung, solange wir nicht verlangen, dass jetzt immer etwas gutes oder ’nützliches‘ geschrieben werden soll in den Morgenseiten. Sie sind kein zusammenhängender Text, und wir sagen auch nicht „ich erkunde nun meine psychologischen Untiefen“. Falls von selber so etwas daherfließt, in Ordnung. Aber falls stattdessen ein Einkaufszettel ankommt, oder eine „Liste von Dingen, die ich verabscheue“, oder nur Beschwerden, und sich auch alles ständig wiederholt, dann ist das eigentlich sogar besser. Wenn es unerträglich peinlich wäre, diese Morgenseiten noch mal durchzulesen, dann wurden sie richtig gemacht.
– mit der Hand.
Das macht einen großen Unterschied. „Kann ich die auch tippen?“ Ja, und du kannst auch zum Schwimmtraining gehen mit einem Außenbordmotor. Generell ist es immer gut, sich zu fragen, wofür man etwas macht. Die Morgenseiten sind dafür da, unbewusste oder unterbewusste unkontrollierte Prozesse aufzurufen, die im Kern Selbstbefreiung unterstützen oder sogar entscheidend vorantreiben. Sie sind eine Methode, und wenn du das möchtest, verwende die Methode. Die Methode ist: schreib mit der Hand. Wenn du gern morgens tippst, kannst du morgens tippen, das ist dann aber nicht die Methode. (Warum es einen Unterschied macht ist hier kurz erklärt auf Deutsch und hier auf Englisch.)
– am besten im Format DinA4, und nicht in ein Notizbuch oder Heft.
Das Geschreibsel von gestern soll nicht sichtbar sein, sonst macht es gleich beklemmt. Am besten ist jeden Morgen ein neues Blatt. Ein Notiz*block* wäre in Ordnung, wenn das Blatt danach abgerissen und weggetan wird.
– alle paar Wochen rituell wegwerfen.
Manche Leute lesen ihre Morgenseiten alle drei Monate durch. Alle neun Wochen, wird es in Julia Camerons Buch empfohlen (zumindest früher, ich kenne das Buch nur aus den 1990er Jahren), aber ich bin nicht dafür, sie nochmal zu lesen. Wenn ich weiß, dass ich das wieder durchlese, bin ich automatisch gehemmter beim Schreiben als wenn ich denke ‚ich haue jetzt hier irgendwas auf dieses Papier was anschließend sofort wieder vom Erdenrund verschwindet‘. Ich würde den Stapel Papier immer wegwerfen, zum Beispiel alle 6 Wochen (und bis dahin sehr gut verstecken).
Falls gute Gedanken drin sind, lassen die sich übertragen. Zum Beispiel ein Foto davon machen (für die Untiefen der Camera Roll, eingerahmt von peinlichen Passagen), oder vielleicht besser, die Passagen abtippen. Was du wichtig findest oder erhaltenswert, kannst du in ein digitales Notizbuch für den eigenen Weg übertragen.
– das Morgenseitenschreiben beschützen
und erstmal niemand im Haushalt davon erzählen, dass man jeden Morgen die eigenen Gedanken aufschreibt. Dann versucht auch niemand, sie heimlich in die Finger zu bekommen und zu lesen. Tragisch aber wahr, da sind schon Dinge vorgefallen. Nicht groß davon zu erzählen, beschützt auch die eigene Praxis vor Menschen, die gehässig sind und vielleicht selber blockiert, die Angst bekommen, wenn Leute in ihrem Umfeld plötzlich Selbstzuwendung üben, uns das sabotieren oder stoppen wollen. Das gibt es leider, und solche Zweifel oder Schwierigkeiten von außen sind nicht hilfreich. Die Morgenseiten sind, wie jedes Morgenritual, eine intime Praxis, und ich empfehle, nicht viel darüber zu sprechen.
– Schreibe sie mindestens zwei Wochen lang ohne einen Tag Pause um beginnen zu können, ihre Effekte abzuschätzen. Noch besser ist natürlich 12 Wochen wie im Workshop.
– Wenn du mal verschläfst, schreibst du sie halt später, aber nur ausnahmsweise, es soll nicht zur Gewohnheit werden.
Morgenseiten, wenn du nicht schreiben kannst:
– Falls du aus Rechtschreibgründen nicht schreiben kannst, ist das egal, denn es geht niemanden etwas an. Du kannst deine eigene Schrift erfinden. Oder du kannst malen oder dich mit Symbolen ausdrücken, oder mit Linien. Was dir gerade durch den Kopf geht, kannst du ausdrücken ohne formal zu schreiben.
– Wenn du aus körperlichen Gründen nicht mit einem Stift schreiben kannst, hast du die Lizenz zum Tippen, falls dein Gear das hergibt. Falls das nicht geht, lässt es sich vielleicht als Audio aufnehmen (nur aufpassen, dass es hinterher wirklich gelöscht wird ^^). Wenn eine Sprachaufnahme nicht geht, kannst du es vielleicht als gesteuerten Gedankenfluss machen: 15 Minuten lang die Gedanken, die herumspinnen, bewusst wahrnehmen und im Geiste nachsprechen. Danach die Praxis beenden und alles wieder normalisieren, nicht, dass die zweite Stimme, die alles covert, zur Gewohnheit wird. Die Gedankentechnik ist aber wirklich nur für Personen, die nicht die Motorik haben, Stifte zu halten oder Geräte zu bedienen. Alle anderen sollen mit dem Stift schreiben und keine Ausreden suchen, um es aus Bequemlichkeit oder Angst anders zu machen. Mit eigenen Ausreden umzugehen lernt man auch in dem Workshop (:
Empfehlung
Ich fand „The Artist’s Way“ überaus hilfreich und empfehle es immer noch. Mir hat dieser Buch-Workshop damals, vor über zwanzig Jahren, entscheidend geholfen. Ich war vorher recht blockiert und danach recht… wenig blockiert. Deswegen will ich dafür werben, es auszuprobieren, und auch dafür, von der Ausdrucksweise und dem USA-Schnack darin abzusehen, und sich einzulassen auf den Kern dessen, was darin geübt wird, denn der ist sehr, sehr gut. Nicht nur für Kreativität, sondern für die Befreiung, sich selbst zu erlauben, und an sich zu glauben, bestimmte Wege zu gehen, die das Umfeld vielleicht nicht vorgesehen hat.
Vor allem aber sollte das hier eine Anregung sein für das Werkzeug Morgenseiten, das ich vor über 20 Jahren das erste Mal ausprobiert habe und noch viele Male danach. Immer wenn ich es gebraucht habe, war ich froh, darauf zurückgreifen zu können. Wenn du Befreiung willst oder Kreativität oder beides, probier es einfach aus. Und dann staune was alles passiert mit dir, in dir, und sogar um dich herum.
Wenn du die Morgenseiten sowieso schon kennst und schon schreibst, freue ich mich über deinen Kommentar, wie es Dir dabei ging, und in wieweit sie Sinn für dich gemacht haben. Und wenn du sie schon kanntest aber noch nicht benutzt hast, kommentiere, was dich abgehalten hat, und ich hoffe, du gibst ihnen noch eine Chance. Alles Gute!
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