Vermeidungsspiritualität (spiritual bypassing) in gemeinnütziger Arbeit und Communityarbeit

Kurzfassung des Videos zu spiritual bypassing / Vermeidungsspiritualität Teil 1 (Youtube), bezogen auf veranstalterische Tätigkeit.

Es gibt Geistliche, die großartigste spirituell-philosophische Vorträge halten und gleichzeitig auffallend ahnungslos sind betreffend gesellschaftlicher Themen, insbesondere was Hierarchien, Macht und gesellschaftliche Gewalt angeht. Solche Personen kommentieren aber trotzdem oft gesellschaftliche Themen, und zwar leider nicht hinführend zu gesellschaftlicher Harmonie, Verständnis und Zugewandtheit, sondern leider oft als verzweifelte rufe zur ‚Ordnung’™, in ganz verschiedenen Abstufungen von Subtilität und Projektion. Wenn solche Personen die gesellschaftliche Ebene eines vermeintlich spirituellen Phänomens diskutieren, ist das nur eingeschränkt hilfreich.

Und auf der anderen Seite: Wege, mehr Spiritualität einzuladen, die für gesellschaftspolitisch wache und aktive Menschen nicht schon von vornherein unerträglich sind, haben leider oft Anteile von Selbstbedienungstheke: da suche ich mir von dort was aus, und von dort drüben habe ich auch noch was ganz schönes gesehen, und das finde ich auch passend zu mir… oft entsteht so eine Art Duftkerzenspiritualität – kuratiert und oberflächlich. Wenn mit diesem Hintergrund über Spiritualität geredet wird, gibt es oft größere Missverständnisse.

Die meisten Personen, für die ’spiritual bypassing‘ ein Thema ist, machen sich wahrscheinlich eher im zweiten Schritt Gedanken über Spiritualität. Vordergründig ist die gesellschaftliche Ebene.

  • Wie gehe ich auf öffentlicher Ebene mit Vermeidungsspiritualität um?

Für mich bedeutet das, nicht die gemeinnützige Arbeit einzustellen. Ich werde auch weiter zu gesellschaftlichen Themen etwas sagen, sofern ich glaube, dass das etwas entscheidendes beitragen kann, aber nicht aus einem Automatismus heraus und nicht als Selbstzweck, sondern immer nur als Instrument.

Für die Pranava-Stiftung, in der ich Community-Projekte mache, ist es so eingerichtet, dass es möglich ist, für Community-Projekte zu spenden ohne Beteiligung von spirituellen Themen. Weil es aus meiner Sicht besonders wichtig ist, gemeinnützige Angebote und Religion auseinanderzuhalten, und zwar auch bei den Religionen, bei denen es gar keinen Gott gibt. (Religion gibt es durchaus auch ohne Gott. z.B Buddhismus hat keinen Gott und in Advaita Vedanta geht es vorrangig um Selbsterkenntnis.)

Auch wenn ich eine öffentliche Person und Geistliche_r bin, soll meine Orientierung nicht verhindern, dass ich alle Arten von Befreiungsarbeit weiterhin verrichten und unterstützen kann, ob das weltlich erscheint oder nicht.

Mir ist zunehmend deutlich geworden, dass meine Aufgabe nicht nur sein kann, weniger gewalthaltige Zugänge zur Spiritualität oder Einkehr zu schaffen für die Menschen, die in normalen Religionsgemeinschaften nicht safe sind, sondern dass ich gerade als Mönch eigentlich auch dafür zu werben habe, dass religiöse Philosophie generell gar keine Bedingung zu sein hat für Angebote für Minorisierte, für die es insgesamt noch viel zu wenig Angebote gibt.

  • Communityangebote, Meditationsgruppen und der queere Häkelkurs

Wenn – nur als Beispiel – die Kirche die einzige Trägerin einer gratis Kita wäre, dann sollten in dieser Kita im regulären Betrieb am besten keine religiösen Inhalte vorkommen. Ansonsten würden diese religiösen Inhalte den Kindern de facto aufgenötigt, da es nicht die Möglichkeit gibt, in eine andere Kita zu gehen, wenn es die einzige ist.
Das ist nicht gegen Kirche gemeint, sondern betrifft alle möglichen Religionen. Vor allem in strukturschwächeren Gegenden in vielen Ländern tragen bestimmte Religionen z.B fast alle Weisenhäuser oder Schulen für die ärmsten Kinder. Wenn sie dadurch so gut wie ein Monopol haben und die Kinder in eine Religion indoktrinieren, ist das unethisch.

Sogar im Kleinen will ich damit vorsichtig sein: Ich bin nur eine Person, aber trotzdem – mal angenommen, ich biete einen queren Häkelkurs an, nur mal angenommen. Wenn ich dabei dann die ganze Zeit meine Religion mit-serviere, habe ich in der Tat einen bestimmten Personenkreis ausgeschlossen oder verprellt. Alle, die religiösen Terror erlebt haben von dieser Religion, die ich ‚gemütlich‘ mitlaufen lasse, oder Diskriminierung von deren Religionsvertretenden, Hass von einem religiösen Mob, Ausgrenzung, die sich gegen ihre Religion oder zugeschriebene religiöse Identität richtet – die alle können dann in dem einzigen queeren Häkelkurs weit und breit schon wieder nicht entspannt mitmachen. Ich habe kein Gewaltmonopol, nur einen queeren Häkelkurs. Trotzdem habe ich dann durch Unachtsamkeit meine Spiritualität zur Hürde für Andere gemacht.

In Wirklichkeit habe ich keinen Häkelkurs, nehmen wir mal ein reales Beispiel, ADHS-freundliche Fokus-Sessions für Erwachsene. Das ist anschlussfähig an Meditation. Wenn ich darin religiöse Musik spielen würde, obwohl die vielleicht beim Fokussieren hilft, oder ich würde religiöse Begrüßungen verwenden, nicht Namaskara, Hallo und Vanakkam, sondern „grüß Gott“ oder „HariH OM“, dann könnte das durchaus ein katholischer oder hinduistischer dogwhistle sein und Terror bedeuten für Menschen, die eigentlich gerade eine Pause wollten davon, dass bestimmte religiöse Gruppierungen ihnen gegenüber zunehmend feindselig und gefährlich begegnen.

Natürlich gibt es Religionsfreiheit. Alle dürfen grüßen, wie sie wollen. Aber wir sind gerade nicht in einer juristischen Frage, sondern in einer ethischen, und -etwas versteckter- auch in einer spirituellen (wozu ich später noch komme). Auf der ethischen Ebene ist zu differenzieren: ist es notwendig, religiös zu grüßen in einem gemeinnützigen Angebot für Personenkreise, an die sich kaum Angebote richten? Natürlich ist es nicht notwendig. Deswegen will ich gemeinnützige Angebote auch ohne religiöses Drumrum gestalten.

  • Geistliche, Angestellte bei religiösen Einrichtungen,  Leute, die ehrenamtlich mithelfen in ihrer Gemeinde:

In ‚religiösem Rahmen‘ Tätige sollten überlegen, inwieweit ihre Angebote auch Personen zugänglich sind, die von dieser Religion diskriminiert oder sogar unterdrückt werden. Die Antwort kann nicht sein „Die kommen eh nicht zu uns“, denn es ist ja klar, dass die nicht kommen, sondern die Antwort sollte sein: Wie kann ich das Angebot zugänglich und zumutbar machen für die, die davon bisher ausgegrenzt wurden?

Zum Beispiel ließe sich auf Vereine zugehen, die diesen Communities dienen, am besten Selbstorganisationen. Oder es ließe sich ganz einfach zuerst mal ein neutraler Raum aussuchen. Vielleicht muss man nicht zwingend einen Raum nutzen, der religiöse Devotionalien zeigt, den man nur erreicht vom religiösen Parkplatz übers religiöse Gelände, und die ganze religiöse Gemeinde schaut einem dabei zu wie man zur Tür reinkommt. So ist es natürlich schwierig, Leute zu erreichen, die bisher von der Religion weniger als gut behandelt wurden.
Die Aufgabe ist, zu überlegen, wie es möglich ist, die Gemeindearbeit von der Religion zu entzerren.

Manche Kirchengemeinden z.B. richten Fußballturniere aus, bei denen sie komplett ohne Gebete auskommen. Und manche eröffnen ihr Fußballturnier mit dem Vater Unser. Das macht einen Unterschied, und es macht etwas aus für den Stadtteil und für das Selbstverständnis und den öffentlichen Konsens, wer Zielgruppe ist und wer gemeint ist.

Wenn ich mich auf religiöse Arbeit beschränke und nur Gottesdienst mache, ist das natürlich etwas anderes. Wenn ich aber auch gemeinnützige Arbeit mache, und darin dann in meiner Religion missioniere, nur religiöse Personen bediene, oder darauf bestehe, dass das alles in meiner religiösen Gemütlichkeit stattfindet, dann muss ich mich fragen lassen wie weit ich Spiritualität eigentlich überhaupt mag oder verstanden habe.

Im Thema ’spiritual bypassing‘, Vermeidungsspiritiritualität bedeutet das also, dass die Mischung von Religiösem mit Gemeinnützigem mit Vorsicht zu fahren ist.

Die meisten Fragen zu spiritual bypassing waren an mich persönlich gerichtet, und grob in der Richtung, ob eine gesellschaftliche Stimme eine Verantwortlichkeit hat, ob monastisches Leben an sich genommen schon Vermeidungsspiritualität ist. Dazu gebe ich auch gern Auskunft nächstes Mal. Vorab finde ich nur wichtig, was die öffentliche Ebene angeht: hier wird nichts umgangen. Unter anderem, weil ich darauf achte, religionsunabhängige gemeinnützige Angebote auch wirklich religionsfrei zu halten.

 

Das ganze Video auf Youtube:

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